28.12.15

Kultur-Jahresrückblick

Kultur-Jahresrückblick in der SZ-Sächsische Zeitung
Die brennendste Frage am Ende des Jahres lautet: Wie geht es Ai Weiwei? Seit einer gefühlten Ewigkeit hat man nichts gehört vom chinesischen Superstar der Kunst. Sortiert er vielleicht noch die Legosteinchen, mit denen ihn seine Fans überschütteten? Als der Künstler im Sommer endlich aus China ausreisen durfte, war für die Mächtigen dort die größte Gefahr gebannt. Sie konnten sich beruhigt zurücklehnen und ihre Spiogenten in Urlaub schicken. Auch ohne sie blieb in Europa kein Schritt des Künstlers unbeobachtet. Keines seiner Worte blieb unzitiert. Jeden Tag eine neue Meldung, auch wenn es nichts zu melden gab. Auwei, auwei.
Noch eine brennende Frage: Was wissen die Experten der Taskforce denn nun wirklich über die Sammlung von Cornelius Gurlitt und die Herkunft der Arbeiten darin? Enttäuschende Antwort: nicht viel mehr als vor einem Jahr.
Die Überraschung des Jahres kam aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). Aber es handelte sich nicht um eine Ausstellung, sondern um eine Personalie: Generaldirektor Hartwig Fischer geht im Frühling nach London und wird dort Direktor des British Museum. Das Personalkarussell zwischen britischen und diversen deutschen Museen und Theatern kam nicht erst mit Fischer in Schwung, und es dreht sich auch in die Gegenrichtung. So kam Stephanie Buck im Herbst aus London nach Dresden, um hier das Kupferstich-Kabinett zu leiten.
Aus der Romantik aufs Schlachtfeld
Die Wiederentdeckung des Jahres gelang dem Kunstgewerbemuseum: Dessen Direktorin Tulga Beyerle lud den Produktgestalter Hermann August Weizenegger ins Wasserpalais von Schloss Pillnitz ein. Er erzählte eine wunderbare Geschichte von einer falschen Blume, die in Sachsen goldrichtig ist. Diese kleine Schau war eine feine Hommage an die Sebnitzer Seidenblumenherstellung, ein Designmärchen. Fortsetzung erwünscht.
Das Jubiläum des Jahres feierte die Städtische Galerie mit ihrem 10. Geburtstag. Es war einst der Bürgerwille, der diese Kunstinstitution auf den Weg brachte. Seitdem gab es wichtige und gut gemachte Ausstellungen Dresdner Künstler. Immer wieder ein Fest fürs Auge und für den Kopf.
In Feierlaune waren im Spätsommer die Kunstfreunde in Zwickau. Sie richteten das Kunstfest des Jahres aus: den 30. Hochzeitstag von Rosa Loy und Neo Rauch. Im Kunstverein zeigten der Leipziger Malerstar und seine aus Zwickau stammende Gattin Bilder, mit denen sie sich im Laufe ihres Lebens beschenkten. Ein Prosit auf das sächsische Traumpaar der Kunst!
Wirklich romantisch, und zwar im besten kunsthistorischen Wortsinn, hatte das Jahr im Dresdner Albertinum begonnen: Erzählt wurde dort von der Künstlerfreundschaft zwischen Caspar David Friedrich und Johann Christian Dahl. Auserwählte Bilder, erlesen präsentiert. So hätte es weitergehen können. Aber in den Museen der SKD wurden Schlachtfelder eröffnet. Drei Foto-Ausstellungen widmeten sich im 101. Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und im 70. Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges politischen Auseinandersetzungen und gesellschaftlichen Konflikten in der Welt. Das Publikum im Albertinum reagierte leicht verstört. Andererseits nahm es gelassen zur Kenntnis, was manchen Künstler und alle Kunsthändler auf die Palme bringt: die geplante Änderung des Kulturgutschutzgesetzes. Malerfürst Georg Baselitz, vermutlich angespornt von seinen Kunsthändler-Söhnen, ließ polternd alle seine Museums-Leihgaben aus Dresden und Chemnitz abholen. Im Albertinum wurde auf diese Weise über Nacht ein ganzer Saal frei. Direktorin Hilke Wagner besetzte den Raum vorübergehend mit einem einzigen Kunstwerk: Ein Objektbild von Thomas Bayrle war zu sehen, ein fettes Euro-Zeichen. Treffer!
Diese Debatte um das Kulturgutschutzgesetz macht es den Museen im Moment recht schwer, Arbeiten von Privatsammlern auszuleihen, die sich für Kunstliebhaber halten, in Wahrheit eigentlich Kapitalanleger sind. Aber keine Sorge, sie sind noch nicht ausgestorben, die gut betuchten Freunde der Kunst und der Künstler. Männer und Frauen, die aus Lust und Leidenschaft sammeln. Mäzene, die zielgerichtet einen Künstler unterstützen, sind unter uns. In Dorfhain am Rande des Osterzgebirges zum Beispiel lebt und arbeitet Jens Jähnig, der in seinem Betrieb Künstlern wie Hüseyin Arda einen Platz zum Arbeiten gibt. Ardas Wortskulpturen sind unaufgeregt und gewaltig, und sie treffen den Nerv der Zeit. Jähnig hilft, die künstlerischen Botschaften in die Welt hinauszutragen. Chapeau!
Auch anderswo in der Welt gibt es Künstler, die sich einmischen in das Zeitgeschehen und die es damit weit bringen können. Und es gibt Galeristen, die man bewundert, weil sie das zeigen. Ist Dresden schon so tief verunsichert von Pegida und Co., dass manche es mutig finden, wenn der Galerist Holger John zeitgenössische Kunst aus Syrien ausstellt und damit den Blick in eine Kunstszene öffnet, die hierzulande kaum bekannt ist? „Overshadowed“ hieß die beeindruckende Schau, an der maßgeblich ein arabischer Dresdner beteiligt war. Er wurde in Damaskus als Sohn einer Deutschen und eines Syrers geboren, ist nun Meisterschüler an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste und gab in diesem Jahr dem Wort Kunsttransport eine neue Bedeutung. Der junge Mann fuhr mit einem klapprigen Auto durch Europa, das er für „einen Sachsen auf der Flucht“ ausgestattet hatte: Manaf Halbouni. Diesen Namen sollte man sich merken.
Bemerken konnte man auch, dass junge Künstler hierzulande auffallend gern und gut zeichnen: Ella Becker, Tony Franz, Marie Athenstaedt, zum Beispiel. Wer die Shows dieser Künstler verpasste, kann derzeit im Kupferstich-Kabinett grandiose Zeichenkunst des 21. Jahrhunderts bestaunen: von Ines Beyer, Friederike Feldmann und Marc Brandenburg, zum Beispiel.Die brennendste Frage am Ende des Jahres lautet: Wie geht es Ai Weiwei? Seit einer gefühlten Ewigkeit hat man nichts gehört vom chinesischen Superstar der Kunst. Sortiert er vielleicht noch die Legosteinchen, mit denen ihn seine Fans überschütteten? Als der Künstler im Sommer endlich aus China ausreisen durfte, war für die Mächtigen dort die größte Gefahr gebannt. Sie konnten sich beruhigt zurücklehnen und ihre Spiogenten in Urlaub schicken. Auch ohne sie blieb in Europa kein Schritt des Künstlers unbeobachtet. Keines seiner Worte blieb unzitiert. Jeden Tag eine neue Meldung, auch wenn es nichts zu melden gab. Auwei, auwei.
Noch eine brennende Frage: Was wissen die Experten der Taskforce denn nun wirklich über die Sammlung von Cornelius Gurlitt und die Herkunft der Arbeiten darin? Enttäuschende Antwort: nicht viel mehr als vor einem Jahr.
Die Überraschung des Jahres kam aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). Aber es handelte sich nicht um eine Ausstellung, sondern um eine Personalie: Generaldirektor Hartwig Fischer geht im Frühling nach London und wird dort Direktor des British Museum. Das Personalkarussell zwischen britischen und diversen deutschen Museen und Theatern kam nicht erst mit Fischer in Schwung, und es dreht sich auch in die Gegenrichtung. So kam Stephanie Buck im Herbst aus London nach Dresden, um hier das Kupferstich-Kabinett zu leiten.
Aus der Romantik aufs Schlachtfeld
Die Wiederentdeckung des Jahres gelang dem Kunstgewerbemuseum: Dessen Direktorin Tulga Beyerle lud den Produktgestalter Hermann August Weizenegger ins Wasserpalais von Schloss Pillnitz ein. Er erzählte eine wunderbare Geschichte von einer falschen Blume, die in Sachsen goldrichtig ist. Diese kleine Schau war eine feine Hommage an die Sebnitzer Seidenblumenherstellung, ein Designmärchen. Fortsetzung erwünscht.
Das Jubiläum des Jahres feierte die Städtische Galerie mit ihrem 10. Geburtstag. Es war einst der Bürgerwille, der diese Kunstinstitution auf den Weg brachte. Seitdem gab es wichtige und gut gemachte Ausstellungen Dresdner Künstler. Immer wieder ein Fest fürs Auge und für den Kopf.
In Feierlaune waren im Spätsommer die Kunstfreunde in Zwickau. Sie richteten das Kunstfest des Jahres aus: den 30. Hochzeitstag von Rosa Loy und Neo Rauch. Im Kunstverein zeigten der Leipziger Malerstar und seine aus Zwickau stammende Gattin Bilder, mit denen sie sich im Laufe ihres Lebens beschenkten. Ein Prosit auf das sächsische Traumpaar der Kunst!
Wirklich romantisch, und zwar im besten kunsthistorischen Wortsinn, hatte das Jahr im Dresdner Albertinum begonnen: Erzählt wurde dort von der Künstlerfreundschaft zwischen Caspar David Friedrich und Johann Christian Dahl. Auserwählte Bilder, erlesen präsentiert. So hätte es weitergehen können. Aber in den Museen der SKD wurden Schlachtfelder eröffnet. Drei Foto-Ausstellungen widmeten sich im 101. Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und im 70. Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges politischen Auseinandersetzungen und gesellschaftlichen Konflikten in der Welt. Das Publikum im Albertinum reagierte leicht verstört. Andererseits nahm es gelassen zur Kenntnis, was manchen Künstler und alle Kunsthändler auf die Palme bringt: die geplante Änderung des Kulturgutschutzgesetzes. Malerfürst Georg Baselitz, vermutlich angespornt von seinen Kunsthändler-Söhnen, ließ polternd alle seine Museums-Leihgaben aus Dresden und Chemnitz abholen. Im Albertinum wurde auf diese Weise über Nacht ein ganzer Saal frei. Direktorin Hilke Wagner besetzte den Raum vorübergehend mit einem einzigen Kunstwerk: Ein Objektbild von Thomas Bayrle war zu sehen, ein fettes Euro-Zeichen. Treffer!
Diese Debatte um das Kulturgutschutzgesetz macht es den Museen im Moment recht schwer, Arbeiten von Privatsammlern auszuleihen, die sich für Kunstliebhaber halten, in Wahrheit eigentlich Kapitalanleger sind. Aber keine Sorge, sie sind noch nicht ausgestorben, die gut betuchten Freunde der Kunst und der Künstler. Männer und Frauen, die aus Lust und Leidenschaft sammeln. Mäzene, die zielgerichtet einen Künstler unterstützen, sind unter uns. In Dorfhain am Rande des Osterzgebirges zum Beispiel lebt und arbeitet Jens Jähnig, der in seinem Betrieb Künstlern wie Hüseyin Arda einen Platz zum Arbeiten gibt. Ardas Wortskulpturen sind unaufgeregt und gewaltig, und sie treffen den Nerv der Zeit. Jähnig hilft, die künstlerischen Botschaften in die Welt hinauszutragen. Chapeau!
***Auch anderswo in der Welt gibt es Künstler, die sich einmischen in das Zeitgeschehen und die es damit weit bringen können. Und es gibt Galeristen, die man bewundert, weil sie das zeigen. Ist Dresden schon so tief verunsichert von Pegida und Co., dass manche es mutig finden, wenn der Galerist Holger John zeitgenössische Kunst aus Syrien ausstellt und damit den Blick in eine Kunstszene öffnet, die hierzulande kaum bekannt ist? „Overshadowed“ hieß die beeindruckende Schau, an der maßgeblich ein arabischer Dresdner beteiligt war. Er wurde in Damaskus als Sohn einer Deutschen und eines Syrers geboren, ist nun Meisterschüler an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste und gab in diesem Jahr dem Wort Kunsttransport eine neue Bedeutung. Der junge Mann fuhr mit einem klapprigen Auto durch Europa, das er für „einen Sachsen auf der Flucht“ ausgestattet hatte: Manaf Halbouni. Diesen Namen sollte man sich merken.***
Bemerken konnte man auch, dass junge Künstler hierzulande auffallend gern und gut zeichnen: Ella Becker, Tony Franz, Marie Athenstaedt, zum Beispiel. Wer die Shows dieser Künstler verpasste, kann derzeit im Kupferstich-Kabinett grandiose Zeichenkunst des 21. Jahrhunderts bestaunen: von Ines Beyer, Friederike Feldmann und Marc Brandenburg, zum Beispiel.

Keine Kommentare: