6.3.11

DIKTATUR DER KUNST

Montag, 7. März 2011
(Sächsische Zeitung)

Der Kunst-Diktator

Von Peter Ufer

Jonathan Meese reckt den Arm, fordert das Ende der Demokratie und holt Hitler aus der Tabukiste. Seine Dresdner Rede zelebriert er als Provokation.

Bild vergrößern

Jonathan Meese als sonntäglicher Provokateur im Dresdner Schauspielhaus. Foto: Jörn Haufe

Die Dresdner Kunstakademie berief ihn zum Professor. Dabei hält Jonathan Meese Kunstakademien für den totalen Blödsinn. Er möchte sie am liebsten sämtlichst schließen. Sein eigenes Kunststudium brach er ab. 30Stunden hielt er es vor fünf Jahren in Dresden als Lehrer aus, gab allen Studenten eine „Eins“, schließlich kann man Kunst nicht bewerten. Und all jene, die ihm, dem Künstler, heute demütig ihre Mappen zeigen, nennt er mickrige System-Illustratoren.

Zum Professor taugt er nicht. Will er auch nicht, weil er plötzlich Teil einer administrativen Struktur wäre. Die hält der 41-Jährige für überflüssig. Die altehrwürdigen Gesetze der Demokratie, der gegenwärtigen gesellschaftlichen Form und Funktion reichen seiner Meinung nach nicht mehr aus. Demokratie sei ein Programm der Selbstzerstörung. Demokratie und Freiheit seien Ohnmachtsideologien, die nichts weiter als optimiertes Mittelmaß an die Macht bringen. Sagt er. Die Machthaber seien Windeier, Menschenbrei, durchdemokratisierter Sondermüll. Und eine Rassentheorie stellt er dem gleich hinterher: Die Menschen seien zu 99Prozent Niederknier. Das ist sein Thema, das er an diesem Sonntag bei den „Dresdner Reden“ im Schauspielhaus zelebriert.

„Kein Mensch, kein Gott und keine Individualität wird mehr ideologisch vorstehen. Nee, nee, nee! Nur noch die Diktatur der Kunst wird führen, zum Glück. Kunst ist immer gegen das ideologisch Vorherrschende. Immer, immer, immer!“, brüllt er dem Publikum entgegen. Er sagt auch gleich zu Beginn, dass er gern brüllt. Ein echter Brüller.

Einer, der sich für die Bühne verkleidet mit dunklem Mantel, der sich hinter einer Sonnenbrille versteckt, um düster zu sehen, was vor sich geht. Morgens beim Frühstück in der Theaterkantine schlürft er in Trainingsjacke und Cordhose Kaffee, lacht sich munter, plaudert lässig. Essen kann er nichts. „Ich bin total aufgeregt, seit zehn Tagen“, sagt Meese, der Bühnenbearbeiter, der Provokateur, der glaubt, dass die Demokratie nicht mehr dem Leben dient. Ein gar lustiger Geselle, der mit Ernsthaftigkeit spielerisch demoralisiert.

Jonathan Meese huldigt den natürlichen Gesetzen von Geburt und Wachstum, denkt, nur tun zu müssen, was Not tut. Ihn steuert seine Notdurft. Er zeigt auch einen Film, wie er auf seinem Heimatklo sitzt und was er dabei von sich gibt.

Mit seiner Auffassung folgt er der Idee des Metabolismus, den japanische Architekten und Stadtplaner Ende der 1950er-Jahre etablierten. Ihr Thema war die Stadt der künftigen Massengesellschaften, die gestaltbar sei als lebendiger Prozess, ausschließlich durch flexible, erweiterbare Großstrukturen.

Meese kam 1970 in Tokio zur Welt. Als die Mutter, eine Stuttgarterin und zentrale Figur für das Kind, nach Deutschland zurückkommt, versteht der Junge nur Japanisch. Die Anpassung verläuft als verstörender Prozess. Mit 22 Jahren wünscht er sich Papier und Buntstifte, malt sich seine Welt. Die Mutter lässt ihn Volkswirtschaft studieren. Ein Desaster. Meese geht 1995 an die Hochschule für bildende Künste Hamburg. Nach drei Jahren hört er auf. Der Maler Daniel Richter empfiehlt seinen Freund Meese den Galeristen Nicole Hackert und Bruno Brunnet von der Berliner Galerie „Contemporary Fine Arts“, woraufhin diese den jungen Künstler unter Vertrag nehmen. Es beginnt ein kometenhafter Aufstieg in die teuerste Liga der Kunst. Mit Skulpturen, Installationen, Theaterarbeiten, Performances und Videokunst lebt Meese endlich seine Kindheit aus.

Ein Ausbruch im Akkord. Er schuftet manisch produktiv, wird zum Kunst-Messi, zum romantischen Radikalen. Die einen halten ihn für ein Genie, andere schlicht für einen raffinierten Provokateur, Kritiker werfen ihm Wahllosigkeit und Dilettantismus vor. Er gleicht ein wenig dem schrägen Musiker Helge Schneider, an dem sich ebenso die Geister scheiden, dem aber längst keiner mehr seine Professionalität abspricht. Hinter der Leichtigkeit des Scheins spielt sich intellektuelle Radikalität ab.

Es wäre fatal, Meeses Thesen als bloßes Endprodukt der menschlichen Nahrungskette anzusehen. Denn dazwischen steckt Wahrheit. Mitten in der Krise der Philosophie, mitten im Endkampf der Religionen tritt ein moderner Dadaist gegen den Bestand des Bestehenden, verklagt den Kampf der Kulturen, stellt sich mit surrealen Theorien gegen die konventionelle Kunst, demoliert Vorbilder, nimmt der Bedeutung die Bedeutung, um in die Bewegungslosigkeit der Gesellschaft Bewegung zu bringen.

Natürlich greift er genau aus diesem Grund in die Tabukiste und holt Hitler als Kasper hervor. Meese geriert sich als moderner Eulenspiegel, spielt mit Haken- und Eisernem Kreuz. Er will schließlich erhört werden. Hinter all dem Brimborium steckt die Frage, warum Politik an den globalen Problemen scheitert. Ist es strukturelle Überforderung? Reicht denn die bundesrepublikanische Verfassung noch aus, um das Volk zu repräsentieren? Warum steht die Würde des Menschen in der Verfassung über der Würde der Natur? Meese zweifelt am Beispiel der Stuttgart-21-Gegner prinzipiell an den bisherigen Formen des Ausgleichs zwischen Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit. „Menschen können und dürfen mit Macht nicht umgehen: Menschen mit Macht werden immer Machtmissbrauch betreiben, Menschen an der Macht werden immer andere Menschen instrumentalisieren und kaltstellen.“ Sagt Meese. Er sagt es immer und immer wieder, er fordert heraus, er fordert heraus, er wiederholt, er wiederholt: Ist die Weltdiktatur der Demokratie wirklich der Weisheit letzter Schluss? Ist die Demokratie nicht vielleicht die Wurzel allen Übels!? Ist die Herrschaft von Politik und Politikern nicht vollends ausgereizt und ekelhaft? Ist nicht vielleicht Politik der Menschen das Urgrauen? Ist nicht vielleicht Religionssucht das Widerlichste?

Sein Gegenprogramm heißt Entideologisierung, heißt Ich-Befreiung, heißt Kunst-Diktatur. Meese fragt nervtötend nach dem Ziel der Kunst. Und antwortet: „Ihre Herrschaft! Was kann der Mensch für die Kunst tun? Dienen! Wie dient der Mensch der Kunst? Durch stramm stehen! Strammstehen, stramm stehen.“

Er brüllt den Führerbefehl der Kunst heraus, verteilt Manifeste und fordert diese „unabdingbar, totalst und peinlichst genau durchzuführen“. Ein Herrschaftsanspruch der anderen Art. Ein verwirrendes Bühnenspiel, das Meese auf dem rückwärtigen Cover seiner „Totalstgedichte aus dem Erzland“ ankündigt: „Aufstieg und Fall und Wiederaufstieg des Totalbabys der Diktatur der Kunst Jonathan Meese. Es entsaftet alle: Ein Fallbeispiel des Totalstprolllls der Diktatur der Kunst Jonathan Meese.“

Er rechnete damit, dass das Publikum stört, weil er verstört. So recht will es nicht funktionieren. Die meisten Menschen im Dresdner Schauspielhaus behalten am Sonntag die Ruhe. Die meisten haben sogar ihren Spaß. Nur ganz zum Schluss der morgendlichen Meese-Predigt verlassen einige Herrschaften den Saal. Sie haben genug gehört. Empörung sieht anders aus. Einer ruft noch, man solle das verbieten und Meese von der Bühne tragen. Der Rest geht ganz offensichtlich davon aus, dass hier die totale Verhohnepipelung stattfand. Ein eingeübter Auftritt, kalkulierte Provokation, Rede als Performance. Fragen lässt Meese nicht zu, er geht auch nicht zum üblichen Umtrunk zum Publikum. Er lässt sich schnell in seinem großen Benz zurück nach Berlin ins Atelier fahren. „Früher“, sagt er, „früher soff ich eine Flasche Whisky vor so einem Auftritt, heute nehme ich nur noch einen Kleinen Feigling. Ich will mich noch erinnern können.“

Die Dresdner Reden sind eine Veranstaltung des Staatsschauspiels Dresden und der Sächsischen Zeitung. Nächsten Sonntag spricht Dietrich Hoppenstedt.

Keine Kommentare: