Rammstein-Konzert in München
„Fürchtet euch nicht!“
24. November 2009 Schwer zu sagen, was eigentlich der Haupt- und Höhepunkt ist an so einem Abend, wenn die Dramaturgie ohnehin gar nichts anderes kennt. Vielleicht gleich der Anfang, wenn sich die Musiker mit langstieligen Äxten durch die Bühnenwand zu den 14 000 Menschen durcharbeiten, die kurz darauf die Silben „Ramm“ und „Stein“ durch die Olympiahalle brüllen werden, als hinge davon ihr Leben ab, was es in diesem Augenblick ja auch tut. Oder das traurige, das wirklich tieftraurige Gesicht, das der Sänger Till Lindemann zu alldem macht, die Rockerpraxis des Headbangens durch Verlangsamung zurückführend auf das, was es ist: ein sehr, sehr grundsätzliches Kopfschütteln.
Oder die Szenen, in denen er wie ein Wolpertinger aus Emil Jannings und Stephen Kings „It“ durch die Kulissen stiefelt. Oder der Moment, in dem sich Keyboarder Flake Lorenz in eine Wanne legt, „in Salz und Eiter“, wie die Menge weiß und Lindemann nicht singen darf, weil das betreffende Lied verboten ist, indiziert zum Schutz einer hier gar nicht anwesenden Jugend vor den Lockungen von Foltersex. Oder der, wenn Lorenz aus der Wanne aufersteht als Michael Jackson im Glitzerdress und den Moonwalk macht. Den Rest des Abends wird er, unterbrochen von einer Schlauchboottour über den Köpfen des Publikums, auf einem Laufband verbringen; Rammstein macht schließlich Marschmusik. Oder der Schluss, wenn Sänger Lindemann als „Engel“ zwischen zwei feuerspeienden Flügeln verglüht.
Unter Beobachtung der Popismus-Popen
Vielleicht waren es aber auch gar nicht die Showeinlagen, all diese pathetischen Bilder und Slapsticknummern, die Knalleffekte und die Feuerwerkskörper, vielleicht war der eigentliche Höhepunkt dieses Münchner (wegen absurder Verträge von den meisten Fotografen boykottierten) Abends die kleine Sonderzugabe, die Rammstein ganz am Ende ihren glücklichen, zerstörten Zuhörern schenkten: „Bayern san mir“ und ein bisschen Schuhgeplattel – ein kollegialer Gruß von ein paar Ost-Berlinern an die Bayern, mit denen sie sich das Geschäft als deutsche Folkloreexportweltmeister teilen.
Einerseits sind die perfektionistisch durchchoreographierten Shows jeden Abend so, und Rammsteins Shows waren immer schon spektakulärer, aufwendiger und unterhaltsamer als alles, was es sonst so gibt; andererseits ist, wie bei jedem anderen Theater, auch hier jeder Abend trotzdem ein bisschen anders, und das erste Deutschlandkonzert auf einer Europatournee ist sowieso besonders: Hier droht die extrascharfe Observanz durch die Hornbrillen der Popismus-Popen.
Inversion des Pop-Geschmacks
Das Phänomen Rammstein mag überall auf der Welt eines der ausverkauften Hallen sein, in Deutschland ist es zuallererst eines der Kritik und besteht aus zwei Teilen. Der erste ist eine erstaunliche Inversion des (von Boris Groys einmal so genannten) Pop-Geschmacks: Wo bei anderen die enorme Popularität zum ästhetischen Faktor wird, wird sie im Falle von Rammstein zum Beleg der Bedenklichkeit. Denn, zweites Subphänomen, was Rammstein speziell im deutschen Hörer weckt, ist eine überwältigende Fürsorgeanmaßung wider seinen Nächsten: Man selbst durchschaut das Ganze ja noch, aber schon mit Blick auf den unmittelbaren Stehplatznachbarn überwiegt die Sorge, der könnte nach dem Konzert in Polen einmarschieren.
Deutschtümelei wird Rammstein vorgeworfen, und zwar völlig zu Recht, nur: Nirgends werden sie dafür so geliebt wie in Frankreich oder Amerika und nirgends so gefürchtet wie in Deutschland; das ist gewissermaßen die antinationalistische Pointe an Rammstein. Nationalistisch ist eher, wer das nicht akzeptieren kann, dass ausgerechnet diese burleske Teutonenrevue „da draußen“ so gut ankommt und nicht, sagen wir mal: Jochen Diestelmeyer mit seinen, wie es heißt, sehr stimmungsvollen Texten. Nun hat extra der Philosoph Slavoj Zizek als letzter Amtswalter des Leninismus Entwarnung gegeben, mit Begründungen, zu denen viel Lacan und Kopfkratzen gehört, die aber auf den Satz hinauslaufen: „Fürchtet euch nicht, genießt Rammstein!“
Schwarzmarktpreise vor den ausverkauften Hallen
Wer weiß, womöglich wird es in diesem Windschatten sogar möglich, zuzugeben, dass Till Lindemann als Texter zumindest mehr Sinn für die deutsche Sprache hat als das meiste, was jedes Jahr in Klagenfurt so auftritt. Nur die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat keinen Genuss gefunden und die aktuelle Platte indiziert. Aber nicht wegen Deutschtümelei, Josef-Fritzl-Moritaten, Mord und Vergewaltigung, sondern wegen zweier Lieder über einvernehmlichen Sex. Das muss man sich einmal vorstellen. Sitzt unsere Bundesprüfstelle irgendwo in Texas? Werden Grimms Märchen auch verboten? Und macht das Spaß, Zahnpasta in die Tube zurückzufummeln?
Egal. Jetzt sind die Schwarzmarktpreise vor den ausverkauften Hallen schon allein wegen der Performance bei diesen Stücken jeden einzelnen der vielen hundert Euros wert.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.11.2009, FeuilletonBildmaterial: AP
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