Kultur-Jahresrückblick in der SZ-Sächsische Zeitung
Die
brennendste Frage am Ende des Jahres lautet: Wie geht es Ai Weiwei? Seit
einer gefühlten Ewigkeit hat man nichts gehört vom chinesischen
Superstar der Kunst. Sortiert er vielleicht noch die Legosteinchen, mit
denen ihn seine Fans überschütteten? Als der Künstler im Sommer endlich
aus China ausreisen durfte, war für die Mächtigen dort die größte Gefahr
gebannt. Sie konnten sich beruhigt zurücklehnen und ihre Spiogenten in
Urlaub schicken. Auch ohne sie blieb in Europa kein Schritt des
Künstlers unbeobachtet. Keines seiner Worte blieb unzitiert. Jeden Tag
eine neue Meldung, auch wenn es nichts zu melden gab. Auwei, auwei.
Noch eine brennende Frage: Was wissen die Experten der Taskforce denn
nun wirklich über die Sammlung von Cornelius Gurlitt und die Herkunft
der Arbeiten darin? Enttäuschende Antwort: nicht viel mehr als vor einem
Jahr.
Die Überraschung des Jahres kam aus den Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden (SKD). Aber es handelte sich nicht um eine
Ausstellung, sondern um eine Personalie: Generaldirektor Hartwig Fischer
geht im Frühling nach London und wird dort Direktor des British Museum.
Das Personalkarussell zwischen britischen und diversen deutschen Museen
und Theatern kam nicht erst mit Fischer in Schwung, und es dreht sich
auch in die Gegenrichtung. So kam Stephanie Buck im Herbst aus London
nach Dresden, um hier das Kupferstich-Kabinett zu leiten.
Aus der Romantik aufs Schlachtfeld
Die Wiederentdeckung des Jahres gelang dem Kunstgewerbemuseum: Dessen
Direktorin Tulga Beyerle lud den Produktgestalter Hermann August
Weizenegger ins Wasserpalais von Schloss Pillnitz ein. Er erzählte eine
wunderbare Geschichte von einer falschen Blume, die in Sachsen
goldrichtig ist. Diese kleine Schau war eine feine Hommage an die
Sebnitzer Seidenblumenherstellung, ein Designmärchen. Fortsetzung
erwünscht.
Das Jubiläum des Jahres feierte die Städtische Galerie
mit ihrem 10. Geburtstag. Es war einst der Bürgerwille, der diese
Kunstinstitution auf den Weg brachte. Seitdem gab es wichtige und gut
gemachte Ausstellungen Dresdner Künstler. Immer wieder ein Fest fürs
Auge und für den Kopf.
In Feierlaune waren im Spätsommer die
Kunstfreunde in Zwickau. Sie richteten das Kunstfest des Jahres aus: den
30. Hochzeitstag von Rosa Loy und Neo Rauch. Im Kunstverein zeigten der
Leipziger Malerstar und seine aus Zwickau stammende Gattin Bilder, mit
denen sie sich im Laufe ihres Lebens beschenkten. Ein Prosit auf das
sächsische Traumpaar der Kunst!
Wirklich romantisch, und zwar im
besten kunsthistorischen Wortsinn, hatte das Jahr im Dresdner Albertinum
begonnen: Erzählt wurde dort von der Künstlerfreundschaft zwischen
Caspar David Friedrich und Johann Christian Dahl. Auserwählte Bilder,
erlesen präsentiert. So hätte es weitergehen können. Aber in den Museen
der SKD wurden Schlachtfelder eröffnet. Drei Foto-Ausstellungen widmeten
sich im 101. Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und im 70. Jahr
nach Ende des Zweiten Weltkrieges politischen Auseinandersetzungen und
gesellschaftlichen Konflikten in der Welt. Das Publikum im Albertinum
reagierte leicht verstört. Andererseits nahm es gelassen zur Kenntnis,
was manchen Künstler und alle Kunsthändler auf die Palme bringt: die
geplante Änderung des Kulturgutschutzgesetzes. Malerfürst Georg
Baselitz, vermutlich angespornt von seinen Kunsthändler-Söhnen, ließ
polternd alle seine Museums-Leihgaben aus Dresden und Chemnitz abholen.
Im Albertinum wurde auf diese Weise über Nacht ein ganzer Saal frei.
Direktorin Hilke Wagner besetzte den Raum vorübergehend mit einem
einzigen Kunstwerk: Ein Objektbild von Thomas Bayrle war zu sehen, ein
fettes Euro-Zeichen. Treffer!
Diese Debatte um das
Kulturgutschutzgesetz macht es den Museen im Moment recht schwer,
Arbeiten von Privatsammlern auszuleihen, die sich für Kunstliebhaber
halten, in Wahrheit eigentlich Kapitalanleger sind. Aber keine Sorge,
sie sind noch nicht ausgestorben, die gut betuchten Freunde der Kunst
und der Künstler. Männer und Frauen, die aus Lust und Leidenschaft
sammeln. Mäzene, die zielgerichtet einen Künstler unterstützen, sind
unter uns. In Dorfhain am Rande des Osterzgebirges zum Beispiel lebt und
arbeitet Jens Jähnig, der in seinem Betrieb Künstlern wie Hüseyin Arda
einen Platz zum Arbeiten gibt. Ardas Wortskulpturen sind unaufgeregt und
gewaltig, und sie treffen den Nerv der Zeit. Jähnig hilft, die
künstlerischen Botschaften in die Welt hinauszutragen. Chapeau!
Auch anderswo in der Welt gibt es Künstler, die sich einmischen in das
Zeitgeschehen und die es damit weit bringen können. Und es gibt
Galeristen, die man bewundert, weil sie das zeigen. Ist Dresden schon so
tief verunsichert von Pegida und Co., dass manche es mutig finden, wenn
der Galerist Holger John zeitgenössische Kunst aus Syrien ausstellt und
damit den Blick in eine Kunstszene öffnet, die hierzulande kaum bekannt
ist? „Overshadowed“ hieß die beeindruckende Schau, an der maßgeblich
ein arabischer Dresdner beteiligt war. Er wurde in Damaskus als Sohn
einer Deutschen und eines Syrers geboren, ist nun Meisterschüler an der
Dresdner Hochschule für Bildende Künste und gab in diesem Jahr dem Wort
Kunsttransport eine neue Bedeutung. Der junge Mann fuhr mit einem
klapprigen Auto durch Europa, das er für „einen Sachsen auf der Flucht“
ausgestattet hatte: Manaf Halbouni. Diesen Namen sollte man sich merken.
Bemerken konnte man auch, dass junge Künstler hierzulande auffallend
gern und gut zeichnen: Ella Becker, Tony Franz, Marie Athenstaedt, zum
Beispiel. Wer die Shows dieser Künstler verpasste, kann derzeit im
Kupferstich-Kabinett grandiose Zeichenkunst des 21. Jahrhunderts
bestaunen: von Ines Beyer, Friederike Feldmann und Marc Brandenburg, zum
Beispiel.Die brennendste Frage am Ende des Jahres lautet: Wie geht es
Ai Weiwei? Seit einer gefühlten Ewigkeit hat man nichts gehört vom
chinesischen Superstar der Kunst. Sortiert er vielleicht noch die
Legosteinchen, mit denen ihn seine Fans überschütteten? Als der Künstler
im Sommer endlich aus China ausreisen durfte, war für die Mächtigen
dort die größte Gefahr gebannt. Sie konnten sich beruhigt zurücklehnen
und ihre Spiogenten in Urlaub schicken. Auch ohne sie blieb in Europa
kein Schritt des Künstlers unbeobachtet. Keines seiner Worte blieb
unzitiert. Jeden Tag eine neue Meldung, auch wenn es nichts zu melden
gab. Auwei, auwei.
Noch eine brennende Frage: Was wissen die
Experten der Taskforce denn nun wirklich über die Sammlung von Cornelius
Gurlitt und die Herkunft der Arbeiten darin? Enttäuschende Antwort:
nicht viel mehr als vor einem Jahr.
Die Überraschung des Jahres
kam aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). Aber es handelte
sich nicht um eine Ausstellung, sondern um eine Personalie:
Generaldirektor Hartwig Fischer geht im Frühling nach London und wird
dort Direktor des British Museum. Das Personalkarussell zwischen
britischen und diversen deutschen Museen und Theatern kam nicht erst mit
Fischer in Schwung, und es dreht sich auch in die Gegenrichtung. So kam
Stephanie Buck im Herbst aus London nach Dresden, um hier das
Kupferstich-Kabinett zu leiten.
Aus der Romantik aufs Schlachtfeld
Die Wiederentdeckung des Jahres gelang dem Kunstgewerbemuseum: Dessen
Direktorin Tulga Beyerle lud den Produktgestalter Hermann August
Weizenegger ins Wasserpalais von Schloss Pillnitz ein. Er erzählte eine
wunderbare Geschichte von einer falschen Blume, die in Sachsen
goldrichtig ist. Diese kleine Schau war eine feine Hommage an die
Sebnitzer Seidenblumenherstellung, ein Designmärchen. Fortsetzung
erwünscht.
Das Jubiläum des Jahres feierte die Städtische Galerie
mit ihrem 10. Geburtstag. Es war einst der Bürgerwille, der diese
Kunstinstitution auf den Weg brachte. Seitdem gab es wichtige und gut
gemachte Ausstellungen Dresdner Künstler. Immer wieder ein Fest fürs
Auge und für den Kopf.
In Feierlaune waren im Spätsommer die
Kunstfreunde in Zwickau. Sie richteten das Kunstfest des Jahres aus: den
30. Hochzeitstag von Rosa Loy und Neo Rauch. Im Kunstverein zeigten der
Leipziger Malerstar und seine aus Zwickau stammende Gattin Bilder, mit
denen sie sich im Laufe ihres Lebens beschenkten. Ein Prosit auf das
sächsische Traumpaar der Kunst!
Wirklich romantisch, und zwar im
besten kunsthistorischen Wortsinn, hatte das Jahr im Dresdner Albertinum
begonnen: Erzählt wurde dort von der Künstlerfreundschaft zwischen
Caspar David Friedrich und Johann Christian Dahl. Auserwählte Bilder,
erlesen präsentiert. So hätte es weitergehen können. Aber in den Museen
der SKD wurden Schlachtfelder eröffnet. Drei Foto-Ausstellungen widmeten
sich im 101. Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und im 70. Jahr
nach Ende des Zweiten Weltkrieges politischen Auseinandersetzungen und
gesellschaftlichen Konflikten in der Welt. Das Publikum im Albertinum
reagierte leicht verstört. Andererseits nahm es gelassen zur Kenntnis,
was manchen Künstler und alle Kunsthändler auf die Palme bringt: die
geplante Änderung des Kulturgutschutzgesetzes. Malerfürst Georg
Baselitz, vermutlich angespornt von seinen Kunsthändler-Söhnen, ließ
polternd alle seine Museums-Leihgaben aus Dresden und Chemnitz abholen.
Im Albertinum wurde auf diese Weise über Nacht ein ganzer Saal frei.
Direktorin Hilke Wagner besetzte den Raum vorübergehend mit einem
einzigen Kunstwerk: Ein Objektbild von Thomas Bayrle war zu sehen, ein
fettes Euro-Zeichen. Treffer!
Diese Debatte um das
Kulturgutschutzgesetz macht es den Museen im Moment recht schwer,
Arbeiten von Privatsammlern auszuleihen, die sich für Kunstliebhaber
halten, in Wahrheit eigentlich Kapitalanleger sind. Aber keine Sorge,
sie sind noch nicht ausgestorben, die gut betuchten Freunde der Kunst
und der Künstler. Männer und Frauen, die aus Lust und Leidenschaft
sammeln. Mäzene, die zielgerichtet einen Künstler unterstützen, sind
unter uns. In Dorfhain am Rande des Osterzgebirges zum Beispiel lebt und
arbeitet Jens Jähnig, der in seinem Betrieb Künstlern wie Hüseyin Arda
einen Platz zum Arbeiten gibt. Ardas Wortskulpturen sind unaufgeregt und
gewaltig, und sie treffen den Nerv der Zeit. Jähnig hilft, die
künstlerischen Botschaften in die Welt hinauszutragen. Chapeau!
***Auch anderswo in der Welt gibt es Künstler, die sich einmischen in das
Zeitgeschehen und die es damit weit bringen können. Und es gibt
Galeristen, die man bewundert, weil sie das zeigen. Ist Dresden schon so
tief verunsichert von Pegida und Co., dass manche es mutig finden, wenn
der Galerist Holger John zeitgenössische Kunst aus Syrien ausstellt und
damit den Blick in eine Kunstszene öffnet, die hierzulande kaum bekannt
ist? „Overshadowed“ hieß die beeindruckende Schau, an der maßgeblich
ein arabischer Dresdner beteiligt war. Er wurde in Damaskus als Sohn
einer Deutschen und eines Syrers geboren, ist nun Meisterschüler an der
Dresdner Hochschule für Bildende Künste und gab in diesem Jahr dem Wort
Kunsttransport eine neue Bedeutung. Der junge Mann fuhr mit einem
klapprigen Auto durch Europa, das er für „einen Sachsen auf der Flucht“
ausgestattet hatte: Manaf Halbouni. Diesen Namen sollte man sich merken.***
Bemerken konnte man auch, dass junge Künstler hierzulande auffallend
gern und gut zeichnen: Ella Becker, Tony Franz, Marie Athenstaedt, zum
Beispiel. Wer die Shows dieser Künstler verpasste, kann derzeit im
Kupferstich-Kabinett grandiose Zeichenkunst des 21. Jahrhunderts
bestaunen: von Ines Beyer, Friederike Feldmann und Marc Brandenburg, zum
Beispiel.